Jeder kennt den Sicherheitsgurt im Auto, aber nur wenigen ist bewusst, dass das Gurtschloss bei einem Verkehrsunfall mit bis zu 3 Tonnen belastet wird. Würde man das Gurtschloss ausbauen und statisch ein Gewicht daran hängen, würde das Schloss bei ca. einer Tonne reißen. Bei einem Unfall kann die Belastung des Gurtschlosses aber wesentlich höher sein, ohne dass ein Bruch auftritt. Wie ist das möglich?
Eine Erklärung dafür ist, dass Werkstoffe bei einer schnellen, kurzzeitigen Belastung höhere Belastungen ertragen als bei einer statischen Last. Diesen Effekt nennt man Dehnratenabhängigkeit, weil die Dehnung (Längenänderung zur Ausgangslänge) mit einer gewissen Geschwindigkeit aufgebracht wird. Hohe Dehngeschwindigkeiten (gemessen in 1/s), auch Dehnraten genannt, treten zum Beispiel bei einem Crash auf. Aber auch wenn ein Rasierer oder ein Handy auf den harten Boden fällt, kommt es zu enormen Dehngeschwindigkeiten.
Um solche Vorgänge rechnerisch bei der Bauteilentwicklung genauer zu simulieren, werden Materialkenndaten benötigt, die diesen Effekt berücksichtigen. Für die Auslegung moderner Cockpits werden heute umfangreiche Crash-Simulationen durchgeführt, welche zu einer enormen Steigerung der Sicherheit bei Unfällen geführt haben.
Die Materialkenndaten sind aber oft nicht bekannt und müssen aufwendig gemessen werden. Doch derartige Messungen sind nicht einfach. In so genannten Schnellzerreißmaschinen misst man nämlich nicht nur die Kraft-Weg-Kurve der Probe, sondern zusätzlich die dynamischen Effekte der Prüfmaschine. Man braucht oft viel Phantasie, um hier vernünftige Materialgesetze ableiten zu können, insbesondere, wenn die Geschwindigkeiten sehr hoch sind.